Montag, 13. Oktober 2008

Im Roten Osten Leipzigs

Ostleipzig

Wie bereits angekündigt, war ich in der letzten Woche in kulinarischer Mission in Leipzig unterwegs. Die Suche nach authentischer sächsischer Regionalküche war, um es gleich vorwegzusagen, leider nicht sehr erfolgreich, auch um Auerbachs Keller mit seinem schwer eventlastigen Gastro-Angebot habe ich einen großen Bogen gemacht.
Die Iglu-Version des "Leipziger Allerlei", ein Gericht, das die meisten Westdeutschen nur dem Namen nach oder aus aus der Tiefkühltruhe kennen, sowie die vielen Gemüsebeilagen, die den Namen des Originals tragen haben allerdings mit dem Original nicht viel mehr als die schockgefrosteten Erbsen und Karottenscheiben gemeinsam. Tatsächlich ist Leipziger Allerlei ein saisonales Gericht, das eigentlich nur im Frühsommer serviert wird und neben den bereits erwähnten Erbsen und Möhren noch Kohlrabi, Schwarzwurzeln und Spargel als Frühlingsgemüse und unbedingt Flußkrebse und Morcheln enthalten muss.

Der Barmann meines Hotels erklärte mir den Ursprung des Gerichtes aus dem verfügbaren Angebot in der Ansammlung von Kleingärten, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Leipzig entstanden. Diese neue Form des Freizeitgartens erhielt seinen Namen nach dem Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber, 1808 geboren und eine Art deutsche Version von John Harvey Kellog. Er selbst war allerdings nicht der eigentliche Urheber der Bewegung und erlebte die Gründung des ersten eingetragenen Schrebervereins durch einen seiner Gesinnungsgenossen nicht mehr. Es waren also findige Laubenpieper, die mit den schmackhaften Flusskrebsen, die sie aus den Bewässerungsgräben ihrer Gärten fischten, das eigentlich einfache Gemüsegericht aufwerteten. Heutzutage sind Krebse und die sündhaft teuren Morcheln begehrte Delikatessen und der Preis des Allerleis in einem Leipziger Restaurant lässt kaum mehr auf den kleinbürgerlichen Ursprung des Gerichtes schließen.

Das Hotel, in dem ich abgestiegen bin, liegt östlich des eigentlichen Zentrums von Leipzig, in einem strukturschwachen Gebiet der Stadt. Die Gründerzeit-Ensembles entlang der Eisenbahnstraße und die Plattenbauten der angrenzenden peripheren Stadtteile sind Teile des Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt" des Bundes und der Länder". Die Bausubstanz ist überwiegend von geringer Qualität und Sanierungsmaßnahmen im großen Rahmen sind extrem teuer. Das Viertel wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als gemischte Wohn- und Arbeitssiedlung angelegt und entwickelte sich zu einem klassischen Arbeiterviertel. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude stark beschädigt, die DDR konnte zu keinem Zeitpunkt die notwendigen Mittel zur Sanierung aufbringen und plante den Abriss des ganzen Viertels.

Heute, an einem Mittwoch, nach Einbruch der Dunkelheit, ist die Eisenbahnstraße so gut wie leergefegt, hinter den vergilbten Gardinen einiger weniger beleuchteten Fenster in den oberen Stockwerken vermute ich den Geruch von Kohleöfen, durchgesessene, abgewetzte Polstermöbel und verblasste Wachstuchtischdecken - aus den Läden im Erdgeschoss der heruntergekommenen Gründerzeit-Immobilien flackern Spielautomaten und leuchtet das kalte Neonlicht der zahlreichen Dönerbuden und Imbiss-Läden.

Meine Lust nach teutonischen Fleischgenüssen schwindete bald, ich änderte das Ziel meiner Suche und hielt Ausschau nach Kebab, Falafel oder Ähnlichem - bis ich vor einem Laden stand, dessen Schaufenster grell-farbige Aufkleber "aromatische Würste", "schmackhafte Pasteten" und "knusprige Braten" anpriesen. Das kleine Geschäft für polnische Spezialitäten war aber bereits seit mehr als zwei Stunden geschlossen. Vor der Rückkehr ins Hotel, zu einer vergleichsweise einfallslosen Speisekarte, drückte ich mir noch die Nase an der Eingangstür platt, wobei mich die Verkäuferin, die in diesem Moment den Heimweg antritt, ertappte. Zunächst war sie sehr misstrauisch aufgrund meines großen Interesses an ihrem Laden, hatte dann aber doch Mitleid, weil sie mich auf den nächsten Tag vertrösten musste.

Auf dem Rückweg entdeckte ich dann doch noch eine kleine Kneipe, in der der Besitzer und der einzige Gast sich ein Dart-Duell nach dem anderen lieferten, ihre halbausgelöffelten Schüsselchen mit Soljanka standen verwaist auf dem Tresen und der Verlierer musste jedesmal eine Runde Pfefferminzlikör ausgeben - ohne sächsische Wickelknödel oder polnische Würste gekostet zu haben, entschädigte mich zumindest die frisch-saure Suppe als ideale Zechspeise, wobei ich allerdings den giftgrünen Likör durch Pils vom Fass ersetzte.

Am nächsten Morgen stand ich schon um fünf Minuten vor acht vor diesem Paradies für Exilpolen in und um Leipzig und nach meinem Einkauf konnte ich es den ganzen Tag über kaum erwarten, meine Schätze zu Hause auszupacken und zu kredenzen: Es gab kabanosy, polska surowa, die rohen polnischen Brühwürste, kielbasa slaska, eine schlesische Kochwurst, in der Machart wie Regensburger in Bayern, salcesa ozorkowy, deftige Blutwürste, eine intensiv nach Rauch duftende kielbasa jalowcowa, eine mit viel Wacholder gewürzte Kochsalami, Schweineschmalz mit Zwiebeln und Salzgurken, die nach mächtig viel Dill schmeckten!

Am nächsten Tag habe ich versucht, selbst eine Soljanka herzustellen, da noch ein bisschen eingefrorene Fleischbrühe im Kühlschrank war und was würde sich dazu besser eignen, als die Reste der polnischen Würste! Ich musste also nur ein paar Gurken und eine Paprikaschote besorgen.

Hier das Rezept:

300 g Wurst- oder Bratenreste, am besten eine grobe Bratwurst wie die schlesiche Kochwurst oder einmal gebrühte und wieder erkaltete Polnische Brühwurst, in Streifen oder Würfel geschnitten
150 g Zwiebeln
2 kleine oder 1 große Salzgurke
100 ml Gurkenwasser (vom Einlegen)
2 Knoblauchzehen
1 rote Paprikaschote
1 TL Paprikapulver, rosenscharf
etwas neutrales Öl (Sonnenblumen- oder Rapsöl)
50 g Tomatenmark
2-3 Lorbeerblätter
Salz
Pfeffer
800-900 ml kräftige Fleischbrühe

Zuerst die Zwiebel in feine Ringe schneiden, dann die Paprikaschote entkernen und in feine Streifen schneiden; das Öl in einem Topf erhitzen und beides ca. 5 Minuten bei mittlerer Hitze andünsten; die Knoblauchzehen dazupressen, das Tomatenmark einrühren und weiterschwitzen lassen. Dann die ebenfalls in Streifen geschnittenen Gurken und das Fleisch zugeben, die Hitze etwas höher schalten, Fleischbrühe und Gurkenwasser angießen und ca. 10-15 Minuten köcheln (am besten sind große Salzgurken vom Metzger!). Am Ende der Kochzeit (vorsichtig) salzen und pfeffern, im Teller einen Löffel saure Sahne auf die Suppe geben - fertig! In der ehemaligen DDR ein Klassiker in fast allen Speisegaststätten und bei Ostalgikern immer noch einen Seufzer wert - jetzt, wie bereits erwähnt, als kleines Gericht unter anderen Appetithappen für ausdauernde Zecher ein erfrischender und wohltuender Mitternachtsimbiss. Deshalb hier auch keine feingehackte Petersilie oder Zitronenscheibchen, wie in vielen Rezepten erwähnt wird - dazu hat ein Wirt, der ständig Bier zapfen muss, keine Zeit. Soll es ein anderer Anlass sein, könnte ich mir vorstellen, die Suppe mit Dill, Kerbel oder Borretschblättern zu bestreuen. Im nächsten Sommer wird das auf jeden Fall ausprobiert...


Die Zutaten findet ihr hier:

Panknin - Polnische Spezialitäten
Eisenbahnstr. 31
04315 Leipzig
0177-8447998

Artikel zum Download: leipzig (pdf, 91 KB)

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