Samstag, 1. November 2008

Was ist die Küchenzeile und was will sie?

Küchenzeile ist Florians und Isabels Plattform, auf der sie ihre Lieblingsgerichte aus der ganzen Welt posten, Rezepte zum Nachkochen online stellen, über die besten Gerichte für den Herbst diskutieren, auch mal die historische und ethnologische Dimension des Essens beleuchten, euch die Geschichten zu den Rezepten erzählen, euch mit News aus der Küchenwelt versorgen und zum mitmachen einladen: schickt uns eure Rezepte, eure Anekdoten, eure Restauranttips – versorgt uns mit Nachschub!

messer

Die tägliche Nahrungsaufnahme ist ein in der Geschichtsschreibung oft vernachlässigter Aspekt, Essen, Trinken, Kochen haben, sind Geschichte! Aspekte des menschlichen Lebens, in den Industrieländern oft eine Selbstverständlichkeit, über die kaum nachgedacht wird, in anderen Ländern die erste und existentiellste Frage jeden neuen Tages. In Europa bestimmen Themen wie Übergewicht, Diäten, Schadstoffe im Essen und ähnliches den nicht primär auf das möglichst genussvolle Schlemmen ausgerichteten Diskurs; aber selbst in Deutschland kann man sich noch an Zeiten erinnern, in denen große Teile der Bevölkerung Hunger leiden mussten.

"Der Gaumen ist Teil der Identität" (Klaus E. Müller), er funktioniert ähnlich wie Traditionen, die Verwurzelung in bestimmten sozialen Milieus, Normen, Moralvorstellungen und Kultur allgemein

Uns interessiert die anthropologische Dimension des Essens und der Nahrungsaufnahme, das große Interesse an der Kulturgeschichte des Essens und Trinkens treibt uns ständig auf die Jagd nach neuem Material. Dabei gilt unser spezielles Interesse den Gerichten und Essgewohnheiten in urbanen Gemeinschaften im Süden Europas, die zu Identifikationsmerkmalen für die Bewohner oder für bestimmte Gruppen geworden sind oder dazu stilisiert wurden... Kulinarische und gastronomische Inklusion, Speisen, die zum Identitätsmerkmal exklusiver Kreise geworden sind, Speisen, die zu klischeehaften Zerrbildern ganzer Nationen gemacht wurden, die Funktion des Essens in multikulturellen Gemeinschaften, der langsame Verlust der Regionalküchen, die Ausbreitung einer Welle von Convenience-Food, vorgefertigten, seelenlosen Tiefkühlprodukten und einem grauenhaft einförmigen Einheitsgeschmack, der einer Amnesie der Geschmacksnerven gleichkommmt...

Die gastronomische Kultur ist ein wesentlicher Teil des menschlichen Alltags. Jeder hat einen Freund oder Bekannten, der gerne kocht, Essen und Trinken sind heiß diskutierte Themen in den verschiedensten Kreisen. Kochrezepte in Frauen- und Fernsehzeitschriften, Ratgeber wie Meine Familie und Ich, Kochshows im Fernsehen, eine Flut an Kochbüchern, Internetseiten, Koch-Blogs... diese willkürliche Aufzählung zeigt, dass die Beschäftigung mit Essen und Ernährung in den letzten Jahren ein fester Bestandteil der Freizeitkultur geworden ist. Auch die Auflagenzahlen von Koch- und Weinbüchern suggerieren dies. Die Frage, ob damit eine kritische Auseinandersetzung mit Themen rund um Essen und Ernährung einhergeht, steht auf einem anderen Blatt und das nicht nur in Deutschland. Auch in kulinarisch verklärten Sehnsuchtsregionen wie Italien oder Frankreich ist nicht alles Gold was glänzt. Ein ständig wachsendes Angebot an Fertiggerichten, mal in knall-grellen Farben, mal eher mit ökologischem Anstrich, füllen die Regale in den Supermärkten hier wie jenseits der Grenzen. Jedes erdenkliche Nahrungsmittel wird als Dosenware angeboten, Mikrowellen-Gerichte verkürzen die Zeit, die man mit der Essenszubereitung verbringt auf wenige Minuten; Tiefkühlpizza gibt es auch in Süditalien und die Franzosen bevölkern am Wochenende ihre geliebten hiper-marchés als würden sie für eine schlimme Notzeit hamstern. Auf der anderen Seite können diejenigen, die die finanziellen Möglichkeiten haben,, jede noch so exotische Ware in den Fresstempeln und Märkten in den Zentren von Großstädten kaufen, auch wenn dies oft zusätzlich mit erheblichen Zeitaufwand verbunden ist. Hier bleibt kein Wunsch offen: sei es frischer Fisch aus allen Weltmeeren, Geflügel aus der Bresse, Käse, die wie edle Kunstdrucke in Kleinstauflagen hergestellt werden, Kräuter oder Gemüse und Obst aus Afrika, Südamerika und Asien.
Bei einem derart vielfältigem Angebot – sei es der Discounter, der gutsortierte Supermarkt, der Dorfmetzger oder eben die wohltemperierten Schlaraffenländer im Bauch der Metropolen, in die man per Rolltreppe einfährt, bis einem die exotischen Früchte fast schon in den Mund wachsen – bleibt die Phantasie oft auf der Strecke und das sowohl von Seiten der Konsumenten als auch seitens der professionellen Gastronomen, die ein Heer fressgeiler Konsumenten lieblos abfüttern und dafür gutes Geld einstecken.
Jeder kennt das einfältige Angebot tausender Gaststätten und Innenstadtkneipen, die oft nicht über einige fragwürdige Salatkreationen und die unvermeidliche Schnitzelparade hinausgehen. Zudem haben die pseudo-originellen Wortneuschöpfungen der nouvelle cuisine der 80er Jahre längst Einzug in die Niederungen der Gastronomie gehalten. Es gibt Dorfgasthöfe, die Edelpilz-Capuccino statt Schwammerlsuppe servieren; Präpositionen wie „an“, „auf“ oder „bei“ bilden eine schwülstige Syntax, die beim Betrachter der Speisekarte über die mangelnde Kreativität der Menüplaner - oft nicht der Köche - hinwegtäuschen sollen. Einheitskost und eine konventionalisierte, limitierte Sprache bestimmen oft unser Bewusstsein. Nur äußerst selten lässt man sich darauf ein, die Nahrungsaufnahme als einen sinnlichen Akt wahrzunehmen, vielmehr sehen wir ihn als biologische Notwendigkeit. Dabei ist Essen eine ritualisierte Kulturtechnik, die ein komplexes System von Konnotationen miteinschließt. Essen, Küche und Gastronomie sind nach soziologischen oder historischen Aspekten zu deuten. Essen gibt Erdung, kann zugleich heimatliche Gefühle und Sehnsucht auslösen. Essen hat magische Aspekte, es ist ein Fetisch, transzendendiert das bloße Einführen und Verdauen von Nahrung, fordert den Menschen aber trotzdem konstant dazu auf, über seine eigene Materialität und Verbundenheit mit der Natur zu reflektieren.

Unserer Meinung nach ist im Umgang mit Essen ein Gesinnungswechsel angesagt. Für uns, die wir es uns als Teil der mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft leisten können, sollte bewusstes Genießen im Mittelpunkt der Nahrungsaufnahme stehen. Das Essen sollte nicht mehr nebenbei, zwischen U-Bahn-Bäcker und Büro-Tür stattfinden, sondern durch bewussten Genuss und Kultivierung ganz persönlicher Rituale den hohen Stellenwert erfahren, der ihm gebührt. Die Erfahrung von Geschmack, Duft, Aroma oder Konsistenz einer Speise sind ebenso wichtige Elemente der Persönlichkeitsentwicklung wie Reisen oder die Ausübung einer Extremsportart. Wie viele Leute wissen nicht, wie gut eine Kartoffel oder eine reife Tomate, geschweige denn Saubohnen, Schwarzwurzeln oder Artischocken schmecken? Wie viele Leute wissen, wo das Essen herkommt, was und warum es ihre Eltern und Großeltern gegessen haben?


Küchenzeile will Informationen abseits von „fünf Tomaten und ein Kilo Rinderhack“ und "wo gibt es die geilste Pizza Münchens" bieten - obwohl natürlich Rezepte und Restaurantempfehlungen nicht fehlen dürfen!
In unserer Kolumne findet ihr nichts zum Nachkochen, dafür Polemiken gegen Mineralwasser für 50€uro und verschnörkelte Speisekarten, Geschichten rund ums Kochen und Essen und noch so vieles mehr.

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Aralia - 25. Sep, 17:24

Lecker-Kürbis

Kürbis ist wirklich ein Farbfleck in diesem tristen Herbst.

Ich finde das Rezept zur Kürbissuppe liest sich sehr gut und freue mich schon darauf diese Suppe zu probieren.
Aralia

demiurga - 25. Sep, 20:34

demiurga

Viel Glück mit Ihrem Projekt!! Ummmmmmmm ... Küchenzeile, dass riecht gut. Kisses from Zaragoza;)
Que bien funciona el google traductor, jajajaja.

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