Mittwoch, 29. Oktober 2008

Rouladen aus der thüringischen Provinz

An was denkt ihr – in kulinarischer Hinsicht – zuerst, wenn ihr „Thüringen“ hört?

Mensa-TUaethopien-baum-kopie

Klar, an die berühmte Rostbratwurst! So wie man bei „München“ an Weißwurst und bei „Wien“ an Eitrige mit Buckel denkt. Neben der besagten Rostbratwurst sind aber auch die Rouladen, die – mit mehr Berechtigung als etwa Toast Hawaii oder Kalter Hund – fast schon ein kulinarischer Erinnerungsort der deutschen Nation sind, das Aushängeschild der Thüringer Küche.
Von einem Abendessen in der Grillstube des Studentenwerks der Technischen Universität Ilmenau habe ich mir eigentlich nicht zu viel erwartet, eine Einstellung, die mir eine mäßig gute Instantbrühe mit Gemüseeinlage zunächst auch bestätigt hat. Die Beilagen zur der riesigen kohlschwarzen Roulade, ein Thüringer Kloß aus Kartoffelteig und ein Berg fast vollkommen zerkochten Rotkrauts, waren optisch zunächst auch nicht vielversprechender. Was sich bis jetzt so anhört als würde es den schlechten Ruf der deutschen Küche in ihren schlimmsten Jahren rechtfertigen, entpuppte sich nicht nur als deftig, sondern obendrein als schmackhaft und richtig gut zubereitet. Wahrscheinlich liegt das Geheimnis darin, dass – wie es eben nur in einer Küche diesen Ausmaßes möglich ist – enorm viele Rouladen auf einmal in großen Brätern zubereitet werden und ihren Geschmack in die Sauce abgeben, die dunkel-glasig die butterweichen Rouladen umschmeichelt.
Die Rouladen sind immer noch, wie früher, in den bäuerlichen Familien, das klassische Festtagsessen der Thüringer Küche. In Deutschland gibt es viele regionale Unterschiede und verschiedene Arten von Rouladen: Rouladen aus Schweinefleisch, Kohlrouladen, Krautwickerl... Im Grunde ist es ein einfaches Gericht, die Zutaten holt man sich zum Teil aus dem Garten (wie die Gurken und Zwiebeln), zum Teil aus der Speisekammer (den Senf und den Speck).
Nach diesem überraschenden Abendessen habe ich am nächsten Tag versucht, aus dem Koch der studentischen Edelmensa (der sich übrigens zum Bedauern der derart verwöhnten Maschinenbau- und Informatikstudenten in nächster Zeit in den Ruhestand verabschieden wird), das Rezept herauszukitzeln, aber alles Nachfragen war zwecklos, kein rhetorischer Trick war von Erfolg gekrönt. Als nach der Nachmittagsschicht kein Mensch mehr in der Mensa war, fand ich schließlich doch noch Zugang durch den Lieferanteneingang und nachdem ich an der Theke gewartet, in die Küche gespäht und auf gut Glück gerufen hatte, wagte ich mich in die Küche vor. Schließlich musste ich der Dame, die den Service leitet, mein Eindringen erklären. Gleich zu Beginn nahm sie mir jede Hoffnung, den Koch persönlich zu sprechen, da der bereits mit seinem wohlverdienten Feierabendpils gemütlich im Hinterzimmer sitze. Nachdem ich jedoch hartnäckig genug nachgefragt und sie daraufhin ausgiebig mit ihrer eigenen Kochkunst kokettiert hatte, rückte die Servicedame Angelika (alias Biergarten-Geli) schließlich ihr eigenes Familienrezept heraus.
Wichtig bei thüringischen Rouladen sind die vier bereits erwähnten Zutaten Senf, Gurken, Zwiebeln und Speck als Füllung sowie eine gute, kräftige Fleischbrühe: „der Koch, der Wasser nimmt“, ist laut Geli „arm dran“. Angelikas Rezept ist einfach und schmeckt nach richtiger Hausmannskost. Zu den Rouladen gibt es in Thüringen klassischerweise Kartoffelklöße, die wir durch Stampfkartoffeln ersetzt haben, und selbstgekochten Rotkohl.

Hier nun aber Angelikas Rezept, von uns nur leicht abgewandelt und erfolgreich nachgekocht:

Zutaten für vier Personen:

4 große Rinderrouladen (aus der Oberschale)
1 Z w i e b e l
4 Essiggurken
ca. 100 g Räucherspeck
Bautzener Senf zum Bestreichen der Rouladen
ca. 2 EL Schweineschmalz zum Anbraten
500-600 ml Fleischbrühe
Salz
Pfeffer
etwas Mehl und Butter

Die Fleischscheiben für die Rouladen, waschen, trocknen und falls sie nicht dünn genug sein sollten, zwischen Frischhaltefolie mit einem Nudelholz etwas plätten, dann mit Salz und Pfeffer würzen. Die Innenseite der Roulade nicht zu sparsam mit Senf bestreichen und darauf, je nach Größe, ein bis zwei dünne Scheiben Räucherspeck, dünne Zwiebelringe und jeweils eine in feine Streifen geschnittene Essiggurke legen. Eng aufwickeln und mit Rouladennadeln (oder Zahnstochern) feststecken (vergesst aber nicht, eure Gäste vor den Spießen zu warnen!). Schweineschmalz erhitzen und die Rouladen von allen Seiten scharf anbraten, dabei sollte sich am Boden des Schmortopfs ein dunkler Bratensatz bilden. Mit etwas Fleischbrühe ablöschen und fast komplett einreduzieren lassen, dann den Rest der Brühe angießen und die Rouladen bei schwacher Hitze mindestens zwei Stunden im geschlossenen Topf schmoren. Am Ende die Rouladen im auf 80-100 °C vorgeheizten Backrohr warmstellen. Sauce einreduzieren lassen und mit einer kalten, etwa Tischtennisball-großen Kugel Butter, in die zuvor zwei Teelöffel Mehl eingearbeitet wurden, abbinden. Klingt altmodisch, gehört aber unbedingt dazu. Falls nötig, nochmal abschmecken und dann die Rouladen zurück in die Sauce, ein paar mal kräftig rütteln, bis sie ganz mit Sauce überzogen sind. Vor dem Servieren am besten noch zehn bis fünfzehn Minuten auf dem Herd ruhen lassen - oder gleich die doppelte Menge zubereiten, dann hat man, vorausgesetzt jeder der vier Esser verspeist nur eine Roulade, am nächsten Tag noch die aufgewärmte Version, die natürlich noch viel besser schmeckt. Als Kind habe ich mich bei den Rouladen meiner Oma beim ersten Mal immer zurückgehalten, um Stunden später noch eine wiederaufgewärmte Roulade mit meiner Mutter zum Abendessen genießen zu können. Als Beilage Stampfkartoffeln und gekochten Rotkohl servieren. Dazu einen Kopf Rotkohl und ein bis zwei geschälte Äpfel raspeln, mit einem Glas Rotwein, einem Glas Wasser, zwei Esslöffeln Zucker, 2 Teelöffeln Salz, zwei bis drei Esslöffeln Essig und etwas Schweineschmalz in 40 bis 50 Minuten weichkochen. Bierstuben-Geli meint, es sollte wenigstens noch etwas Biss haben, man will es ja schließlich „nicht mit einem Trinkröhrchen zu sich nehmen“.

Ohne Garantie, dass jeden Tag Rouladen auf dem Speisezettel stehen, hier trotzdem die Adresse, für alle, die in der nächsten Zeit nach Ilmenau kommen:

Grillstube Mensa Ehrenberg
Max-Planck-Ring 1
98693 Ilmenau

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